Herr Ritter, Anfang August kam es zu einem starken Einbruch an den Märkten. Die Volatilität stieg rasant an, die Aktien fielen weltweit, in Japan um über 20 Prozent. Wie hat sich das auf Ihre Volatilitäts-Strategie ausgewirkt?
Anfang August ist die Volatilität von einem auf den anderen Tag in die Höhe geschossen. Im ersten Moment war das für uns negativ, unsere Volatilitäts-Strategie rutschte ins Minus. Das ist allerdings normal bei unvorhergesehenen Schocks. Es kam dann aber zu einer extrem schnellen Erholung – eine perfekte V-Bewegung. Ende August waren wir dann schon auf einem neuen Allzeithoch.
Könnten Sie erläutern, wie sich die Turbulenzen Anfang August auf die Volatilitäts-Strategie ausgewirkt haben?
Kern unserer Strategie ist ja, dass wir eine Art Versicherung gegen Marktschwankungen verkaufen und dafür Prämien erhalten. Im Mittel sind die Prämien – wie bei klassischen Versicherungen – höher als die Auszahlungen im Schadensfall. Die starke Bewegung Anfang August war für uns ein „kleiner Versicherungsfall“: Die Auszahlungen übertrafen die Prämieneinnahmen, allerdings nur kurzzeitig. Ein Markteinbruch ist für Investoren ein idealer Zeitpunkt zu investieren, die Nachfrage nach Absicherung gegen Volatilität steigt, und damit steigen die Prämien. Vergleichbar ist das mit einer Hochwasserversicherung. Gleich nach einem Hochwasserereignis wollen sich alle versichern. Übrigens grenzt uns die so schnelle Rückkehr in die Gewinnzone von Wettbewerbern ab, die deutlich länger benötigen.
WIE FUNKTIONIEREN VOLATILITÄTS-STRATEGIEN?
Die Anlageklasse Volatilität gleicht einer Versicherung: Wer in sie investiert, übernimmt für meist institutionelle Aktienanleger das Risiko unerwartet hoher Volatilität und erhält im Gegenzug Prämienzahlungen. Weil die Aktienanleger dazu neigen, die künftige Marktvolatilität zu überschätzen, ist die Differenz zwischen erwarteter und später tatsächlich eintretender Volatilität im langjährigen Durchschnitt positiv – und die im Mittel gezahlten Prämien sind höher als die Auszahlungen im Schadensfall. Die Volatilitätsrisikoprämie ist seit über 30 Jahren eine etablierte, stabil am Markt zu beobachtende Risikoprämie von durchschnittlich 3 bis 4 Prozentpunkten. Ein weiterer Vorteil: Wegen der stetigen Prämieneinnahmen sind keine steigenden Märkte notwendig, um positive Erträge zu erzielen. Auch deshalb kann Volatilität als Asset-Klasse eine diversifizierende Rolle im Gesamtportfolio spielen und dieses um einen alternativen Renditetreiber ergänzen. Umgesetzt wird die Strategie mit liquiden börsennotierten Optionen, etwa auf den Euro Stoxx 50 oder den S&P 500, und einem Basisportfolio aus Anleihen.
Wie kam es zu dem außergewöhnlich starken Anstieg der Volatilität? Immerhin lag der VIX, der die erwartete Schwankungsbreite des S&P 500 abbildet, nur noch während der Finanz- und der Corona-Krise höher…
Der Volatilitäts-Spike Anfang August war zunächst Ausdruck der Krise in Japan. Die abrupte Yen-Aufwertung durch eine „hawkishe“ Zentralbank in Japan und die schlechteren Daten aus den USA haben zu einem regelrechten Absturz des Nikkei um 12,4 Prozent an nur einem Tag geführt. Diese Panik aus Japan hat sich dann auf die europäischen und amerikanischen Börsen übertragen. Die Nachfrage nach Absicherung stieg. Der resultierende „Vola-Spike“ mit einem VIX-Niveau von über 65 wurde dabei durch die geringe Liquidität in der Zeit vor Börseneröffnung in den USA noch verstärkt. Allerdings normalisierte sich die Lage während des Handels an den US-Märkten ein Stück weit. Die Erholung wurde zudem durch beruhigende Aussagen der Bank of Japan in den Folgetagen unterstützt. Der Spike war somit nicht Ausdruck einer schweren Krise, sondern eher Ausdruck kurzzeitiger Illiquidität an den Märkten. Auch die Jahreszeit spielte eine Rolle. Anfang August ist Urlaubszeit und das Handelsaufkommen niedriger.
Was bedeutet die Beruhigung der Märkte für Ihre Strategie?
Zum einen ist für uns letztlich nicht die absolute Höhe der Volatilität entscheidend, sondern die erzielbare Volatilitätsrisikoprämie. Diese war in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich hoch und ist es immer noch. Hier wirkt insbesondere 2020 noch nach. Zum anderen haben sich die Märkte seit August eben nur zum Teil normalisiert. Die Volatilität hat sich auf einem höheren Niveau eingependelt. Die Chancen sind noch überdurchschnittlich hoch, auch wenn wir die extremen Spitze hinter uns gelassen haben.
Können Sie näher erläutern, warum die Volatilitäts-Strategie von Lupus alpha in den vergangenen drei Jahren so gut gelaufen ist?
Für die sehr gute Entwicklung der Volatilitäts-Strategie seit 2020 gibt es zwei Gründe. Erstens spielen Angebot und Nachfrage eine wichtige Rolle: Wie viele Anbieter einer Absicherung gegen Volatilität gibt es, wie viele Nachfrager? Dieses Verhältnis hat sich seit 2020 massiv verändert. Angebotsseitig kam es zu einer extremen Auslese. Viele Verkäufer von Volatilität sind an der herausfordernden Marktlage während der Corona-Krise gescheitert und haben sich aus dem Markt zurückgezogen. In Deutschland sind seit 2020 über ein Dutzend Anbieter vom Markt verschwunden. Neue kamen kaum dazu. Die Nachfrage ist gleichzeitig immer noch hoch oder sogar gestiegen. Dadurch profitieren die verbliebenen Anbieter von höheren Prämien.
Zweitens ist es der Zinsanstieg. Das Basisportfolio aus sicheren Anleihen, auf das wir unsere Optionen aufsetzen, bringt jetzt Erträge von etwa 3,5 Prozent p.a. In der Niedrigzinsphase verursachte es Kosten von etwa 0,5 Prozent. Allein dadurch ist die Renditeerwartung für unsere Volatilitäts-Strategie also um rund 4 Prozentpunkte gestiegen.
Lupus alpha hat viele Jahre Erfahrung mit Volatilitäts-Strategien, die zudem ständig weiterentwickelt werden – zuletzt auch, um Drawdowns wie in der Corona-Krise zu reduzieren. Um welche Weiterentwicklungen handelt es sich, und haben sie sich bewährt?
Es gibt zwei Neuerungen, und die haben sich definitiv bewährt. Erstens sind wir zu einer feineren Laufzeitensteuerung übergegangen. Wir setzen heute Versicherungen, also in unserem Fall Optionen, mit sehr kurzen Laufzeiten auf. Kurze Laufzeiten führen zu einem Portfolio, das sich sehr schnell an veränderte Marktbedingungen anpassen kann. Zusätzlich wird das Risiko im Portfolio reduziert. Möglich geworden ist das durch ein in den vergangenen Jahren stark gewachsenes Angebot der großen Derivatebörsen an Optionslaufzeiten, insbesondere sehr kurzen.
Zweitens haben wir eine Tail-Hedge-Komponente eingeführt. Wir haben unsere Strategie also – zur Absicherung von Extremrisiken wie der Corona-Krise – um eine Art Rückversicherung ergänzt. Die Kosten sind überschaubar, die Verluste werden dadurch in Extremphasen wie 2008 und 2020 dann aber deutlich gedämpft. Insgesamt ist das Portfolio damit viel robuster geworden. Hätten wir unsere heutigen Instrumente und Laufzeiten schon zur Corona-Krise zur Verfügung gehabt, wäre der damalige Verlust um etwa 50 Prozent geringer ausgefallen. Das ist schon ein enormer Fortschritt.
Wie stellen Sie sich für eventuelle weitere Volatilitäts-Spitzen in den kommenden Monaten auf, etwa die US-Wahl Anfang November?
Was die US-Wahl angeht, sind für den Tag nach der Wahl am Markt bereits höhere Schwankungen eingepreist. Aktuell gehandelt werden Volatilitäten von etwa 20 Prozent, das entspricht einer Tagesbewegung von etwas mehr als 1 Prozent nach unten oder oben. Für den 6. November werden hingegen mehr als 4 Prozent erwartet. So ist es auch mit anderen vorhersehbaren Ereignissen, etwa Notenbanksitzungen oder der Veröffentlichung von US-Arbeitsmarktzahlen. Darauf stellen wir uns ein. Letztlich ist es immer so: Ist die Bewegung kleiner als erwartet, erwirtschaften wir einen Gewinn, ist die Bewegung größer, einen Verlust.
Trotz wieder sinkender Zinsen sind Anleihen immer noch viel attraktiver als in der Niedrigzinsphase. Auch für Aktien spricht einiges. Was heißt das für Volatilitäts-Strategien als Baustein im Portfolio?
Die Ertragsaussichten unserer Volatilitäts-Strategie sind relativ und absolut attraktiver als zu Niedrigzinszeiten – wegen der höheren Zinserträge aus dem Basisportfolio und dem veränderten Angebots-/Nachfrageverhältnis am Markt. Um konkret zu werden: Die Ertragserwartung ist heute ungefähr doppelt so hoch wie vor der Corona-Krise. Für das Basisportfolio liegt sie bei rund 3,5 Prozent. Dazu kommt der Derivateteil mit erwarteten gut 4 Prozent. Insgesamt ergibt das 7 bis 8 Prozent. Zudem ist das Risiko durch die Neuerungen in unserem Risikomanagement geringer geworden. Risikoadjustiert ist die Assetklasse Volatilität somit viel interessanter geworden. Und dadurch, dass Volatilitäts-Strategien eine echte alternative Risikoprämie bieten, gebührt ihnen heute einmal mehr ein Stammplatz in der Asset Allocation.