Auf dem FONDS professionell KONGRESS in Mannheim heiß diskutiert: Wie wird Deutschland wieder Spitze? Der „Großkonzernmensch“ Dr. Herbert Diess und Dr. Götz Albert als „Kenner des unternehmerischen Mittelstandes“ kamen dabei zu erstaunlich übereinstimmenden Positionen – ein Überblick.
Vom Klassenbesten durchgereicht zum wirtschaftlichen Beinahe-Schlusslicht in der EU – die Situation der deutschen Volkswirtschaft ist nicht gut, die Stimmung noch schlechter. Doch zu Recht? Und was muss geschehen, damit es wieder besser geht? Diesen Fragen gingen Dr. Herbert Diess und Dr. Götz Albert mit der Moderatorin und renommierten Börsenkorrespondentin Sissi Hajtmanek nach.
Geopolitische Herausforderungen treffen hart
„Deutschland hat aktuell mehr Gegenwind zu verkraften als andere Volkswirtschaften“, merkt Dr. Herbert Diess gleich zu Anfang an. Im Ukraine-Krieg leiste Deutschland gemessen an der Wirtschaftsleistung den größten militärischen Beitrag – und das neben der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Der Wegfall Russlands als Handelspartner habe die Energiepreise beim Gas auf ein dreifaches Niveau gehoben und auch einen Exportmarkt wegbrechen lassen.
Als exportorientierte Volkswirtschaft leidet Deutschland zudem in besonderem Maße unter den wachsenden Spannungen im Verhältnis zwischen China und den USA.
Dr. Götz Albert bleibt dabei aus Sicht kleiner und mittlerer Unternehmen dennoch zuversichtlich: „Selbst, wer einen möglichen Sieg Trumps als „exogenen Schock“ antizipiert, weiß: In unternehmerischer Verantwortung muss ich mit Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann, flexibel umgehen.“
Dr. Herbert Diess formulierte allerdings auch einen dringenden Appell: „Aus wirtschaftlicher Sicht haben wir in Deutschland das höchste Interesse an einer multipolaren, friedlichen und offenen Welt, in der unsere Unternehmen aller Größenordnungen mit ihren internationalen Partnern handeln können.“ Das mache übrigens auch klar, ergänzte Dr. Albert, dass alle nationalistischen Abschottungsbestrebungen, die Investoren und Handelspartner abschrecken, Deutschland nicht stärker machen, sondern schwächen.
Klare Wachstumsstrategie für Deutschland statt „weiter so“
„In Deutschland haben wir seit 20 Jahren keinen Plan, wie wir unser Geschäftsmodell weiterentwickeln“, bringt es Dr. Herbert Diess auf den Punkt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten werde von politischer Seite nur verwaltet. Doch nötig sei eine Wachstumsstrategie, die Stärken und Potenziale unterstützt und Rahmenbedingungen schafft, unter denen Unternehmen aus Deutschland im globalen Wettbewerb bestehen können. Angesichts der schrumpfenden Bevölkerung in Deutschland seien dabei zum Beispiel Digitalisierung und KI unverzichtbare Bausteine zur Produktivitätssteigerung. Aber auch die Themen Wochen- und Lebensarbeitszeit sind neu öffentlich zu diskutieren, wenn mit der Boomergeneration geburtenstarke Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Bei der Entwicklung einer solchen Strategie für Deutschland gehe es nicht um kleinteilige Vorschriften mit geringer Technologieoffenheit (das Heizungsgesetz der Regierung: in dieser Hinsicht kein positives Vorbild), sondern um das Schaffen von Voraussetzungen für marktwirtschaftliches Handeln – nach einem über Jahre konsistenten Konzept. Diese Verlässlichkeit und Konsistenz sei entscheidend, betont Dr. Herbert Diess. Die jüngere Wirtschaftsgeschichte Deutschlands sei gepflastert mit Negativbeispielen, bei denen wechselhafte staatliche Unterstützung zur Abwanderung aussichtsreicher technologischer Kompetenz führte: Solarenergie, Windenergie, Batterie- und Hochspannungsgleichstromübertragung.
Basis für eine erfolgreiche Wachstumsstrategie sei dabei das deutsche Stärkenprofil, auf das man vertrauen könne: ein hervorragendes Ausbildungssystem, eine engagierte Bevölkerung und ein starker, agiler unternehmerischer Mittelstand.
Eine klare Absage erteilte Dr. Albert Überlegungen, man könne auf Wachstum gänzlich verzichten. Wirtschaftliches Wachstum sei gerade erforderlich, um den sozialen Frieden im Inneren zu bewahren: „Der Sozialetat macht ein Drittel des Bundeshaushalts aus. Einschnitte in Wirtschaftswachstum und damit Steueraufkommen bedeuten Einschnitte im Sozialetat.“
Strukturkonservative Subventionen sind schädlich
Probleme lassen sich nicht wegsubventionieren, so die gemeinsame Überzeugung. Und Deutschland müsse wieder lernen, selbst initiativ zu werden, statt nach Subventionen zu rufen. Der erste Schritt zu einer wirkungsvollen Zukunftsstrategie sei, unsinnige Subventionen zu streichen, um Mittel freizusetzen. Beispiele? Herbert Diess nannte die Subvention der Kohleförderung – die laufe dem Ziel der CO2-Reduktion zuwider und sei nur ein Beispiel, wie wirtschaftliche Strukturen unterstützt würden, die in Deutschland nicht zu halten seien.
Selbst als Automobilmensch sei er gegen die Subventionierung des Dieselpreises, weil damit eine Technologie einseitig gefördert werde – das gehe auch zu Lasten der Elektromobilität. Anders bei der Dienstwagenregelung. Die ist für ihn ein wichtiger strategischer Baustein: „Die Stärke der deutschen Automobilindustrie im Premiumsegment beruht auf dem großen Premiummarkt in Deutschland mit rund 30% der Zulassungen. Die Dienstwagenregelung ist Voraussetzung dafür“.
Mehr Mut beim Streichen unsinniger Subventionen und privater Förderungen forderte auch Dr. Albert. „Man muss in den Spiegel schauen: Ökonomisch ist der Staat die Summe aller Steuerzahler. Was jemand als Förderung bekommt, müssen andere zahlen.“
Weniger Bürokratie wagen
Ob Lieferkettengesetz oder Nachhaltigkeitsauflagen: Europa und insbesondere Deutschland leide unter übertriebenen bürokratischen Auflagen. Am konkreten Beispiel Nachhaltigkeit brachte es Dr. Albert auf den Punkt: „Regulatorisch verordnet wird nicht Nachhaltigkeit, sondern Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Dabei seien sich aus seiner Erfahrung 90% der Unternehmen ohnehin bewusst, dass Nachhaltigkeitsanstrengungen im eigenen Geschäftsinteresse unverzichtbar seien.
In Bezug auf die dringend erforderliche Reduktion klimaschädlicher Emissionen sei eine wirksame, vorhersehbare Bepreisung das nachhaltigste Mittel. „Gerade in den letzten zwei Jahren hatten wir sogar negative Zertifikatspreise für CO2“, stellte allerdings Dr. Herbert Diess fest. Massive Subventionen fossiler Energien angesichts der Ukraine-Krise hätten das Instrument ins Gegenteil verkehrt.
Kleinere, flexible Unternehmen im Vorteil
Überraschend am Ende: Auch Dr. Herbert Diess, mit seiner persönlichen Karriere in Großkonzernen, sieht die Impulse für die Zukunft Deutschlands eher im Mittelstand und kleinen, anpassungsfähigen Start-Ups. Statt große Strukturen um jeden Preis zu bewahren, müssten Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen innovative Unternehmen neue Lösungen hervorbringen. Denn der Anpassungsbedarf angesichts einer sich rapide ändernden Welt ist hoch, Veränderungsgeschwindigkeit ist entscheidend – und kleinere Einheiten sind dabei im Vorteil.
Für Dr. Albert deckt sich das auch mit Beobachtungen zur Unternehmenskultur, die er und sein Team bei ihren unzähligen Unternehmensbesuchen im Small & Mid Cap-Bereich machen: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Großunternehmen müssen für den Mittelstand erst einmal „resozialisiert“ werden – für eine Kultur des Handelns und dafür, selbst Entscheidungen für den Erfolg zu treffen.“ Doch Eigenverantwortung und das Gefühl, etwas zu bewegen, seien umgekehrt auch eine Trumpfkarte des Mittelstandes im „War for Talents“ beim zunehmenden Fachkräftemangel.