Auf dem FONDS professionell KONGRESS in Mannheim heiß diskutiert: Wie können wir in Deutschland unseren Wohlstand sichern? Der langjährige Post-Vorstand Dr. Frank Appel und der Mittelstandsexperten Dr. Götz Albert sehen akuten Handlungsbedarf, aber auch eine gute Ausgangsposition für Veränderungen – ein Überblick.
Wie schlecht geht es Deutschland und den Deutschen wirklich? Wo liegen die wirtschaftlichen Probleme, die heute drängen? Was muss sich ändern, um auch künftigen Generationen in Deutschland Wohlstand zu ermöglichen? Diesen Fragen gingen Dr. Frank Appel und Dr. Götz Albert unter der Moderation der renommierten Börsenkorrespondentin Sissi Hajtmanek nach.
Produktivität steigern – das erfordert Mehrarbeit
Der individuelle Wohlstand in Deutschland ist nach wie vor hoch. Gerade die Baby-Boomer, die in das aufstrebende Nachkriegsdeutschland hineingeboren wurden, stellen die reichste Generation, die jemals hierzulande gelebt hat. Zu diesem individuellen Bild, so zeichnen Frank Appel und Götz Albert gleich zu Anfang die Ausgangssituation heute, kontrastieren allerdings die Stimmung und die volkswirtschaftlichen Aussichten.
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Infrastrukturmängel, zu hohe Steuerbelastung für Unternehmen, zu enge politische Vorgaben, ineffiziente Überregulierung und Überbürokratisierung hindern oft wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Dr. Götz Albert skizzierte so wesentliche, aber eigentlich rasch veränderbare Faktoren, die dafür sorgen, dass Deutschland heute wirtschaftlich anfällig wirkt. Grundsätzlich sei dabei die Analyse klar, pflichtete auch Frank Appel bei: „In Deutschland haben wir kein Erkenntnisproblem. Wir haben ein Umsetzungsproblem. Wir müssen wieder mehr Kapitalismus wagen.“ Um in die Umsetzung zu kommen, müsse man auch einfache Wahrheiten aussprechen: „Es gibt nur drei Wege Wohlstand zu schaffen: „Es arbeiten mehr Leute. Die Leute arbeiten länger. Oder wir arbeiten effizienter.“ Und es gelte, die Menschen dabei mitzunehmen. Denn nicht weniger Arbeit müsse geleistet werden, sondern mehr. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit müsse das Ziel sein. Durch Flexibilisierung von Arbeitsweisen müssen Kompetenz und Arbeitsleistung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger in den Betrieben gehalten werden. Und natürlich gehören Digitalisierung (in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung) und KI dazu, wenn es darum geht, dringend erforderliche Steigerungen der Effizienz zu erzielen.
Ohne Migration und Flexibilität geht es nicht
Dr. Götz Albert sieht sich in tausenden Kontakten mit dem unternehmerischen Mittelstand bestätigt: „Arbeitskräftemangel und Demographie, das sind die beiden Themen der nächsten Jahre. Vorruhestand abschaffen, flexiblere Arbeitszeiten, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt, mehr Bildung und mehr Migration. Ohne das wird es nicht gehen.“ Und auch der „Konzernmann“ Appel pflichtet aus eigener Erfahrung bei. Bei der Post wäre die Arbeit gerade in der Zustellung ohne Menschen mit Migrationshintergrund gar nicht mehr zu schaffen, sie machen über die Hälfte der Angestellten in diesem Bereich aus. Wertschätzung der Leistung bei Kolleginnen und Kollegen sei wichtig auch für die Integration. Der Schlüssel sei es dabei, Menschen, die nach Deutschland kommen, schnell in Arbeit zu bringen. Für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müsse man zudem immer Perspektiven aufzeigen, wie sie sich durch Weiterqualifizierung flexibel auf neue Arbeitsweisen einstellen können.
Krise kann Reformstau lösen
Die letzten großen Reformen wurden noch vom Kabinett Schröder 2003 und 2004 inititiert. Doch grundlegende Reformen – da sind sich beide Diskussionspartner einig – sind nun erforderlich. Positiv an der Krise aus Sicht von Götz Albert: „Wirtschaftspolitik ist seit sechs Monaten wieder Thema.“ Die Zeichen stehen auf Aufbruch. Die Wirtschaft müsse wieder für sich Schwerpunkte und Produkte finden. Politik sollte für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen, nicht enge Vorgaben machen.
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Auch Frank Appel setzt Hoffnung auf eine neue Regierung. Für diese wünscht er sich vor allem stabile Mehrheiten, die Veränderungen ermöglichen. Da auch grundlegende und schwerwiegende Reformen angestoßen werden müssen, setzt er auf eine Expertenkommission mit allen Stakeholdern wie einst die Hartz-Kommission. Deren Vorschläge sollten dann umgesetzt werden. Auf die Agenda gehören nach seiner Überzeugung Themen von der Reduzierung der Verwaltung bis hin zur Abschaffung der Bundesländer. „Die Länder sind eine Verhinderungstruppe“, gab er zu bedenken, und das müsse sich ändern, auch wenn das föderale System bei seiner Einführung nach dem zweiten Weltkrieg seine Berechtigung gehabt habe.
Rentensystem: Traut sich die Politik den großen Wurf?
Rentenkassen übernehmen Aufgaben der Sozialpolitik, auch deshalb sei heute ein Zuschuss von mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr aus der Staatskasse erforderlich, eröffnete Götz Albert das Thema. Frank Appel zeigt sich überzeugt: Auch zur benötigten grundlegenden Rentenreform könne nur eine Kommission die Empfehlung geben, weil keine Regierung sich traue, dieses Thema wirklich anzugehen. Wie bei vielen der Themen auf dem Programm der unabhängigen Kommission könne es auch hier lohnen, in andere Länder Europas zu schauen, wo für welche Herausforderung schon heute eine Best Practise in der Lösung bestehe.
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Die Kommission sollte am Ende ein Agenda-2030-Paket aus allen vorgeschlagenen Maßnahmen inklusive einer neuen Rente schnüren. Denn nur als Paket mit einer gleichmäßigen Belastung aller sozialer Gruppen und Alterskohorten, aber auch mit Vorteilen für alle, finde eine solche Agenda gesellschaftlich Akzeptanz. „Dann sind die Deutschen leidensfähig und tragen das mit“, ist Frank Appel überzeugt.
Ob einer nächsten Regierung wirklich dieser ganz große Reformentwurf gelingt, bleibt allerdings fraglich. Götz Albert zeigte sich bezogen auf die Rente eher skeptisch: „Wir haben ein kollabierendes Rentensystem. Mehr private Vorsorge ist die einzige Lösung. Auf eine Rentenreform sollte man nicht vertrauen.“
Weniger auf Bedrohung von außen, mehr auf die eigene Stärke fokussieren
„Ich finde es absurd, dass man in deutschen Medien mehr Berichterstattung über den amerikanischen Präsidenten findet, als über die Wahlprogramme der deutschen Parteien“, so gab Frank Appel gleich zu Anfang die Richtung der Diskussion angesichts des Regierungswechsels in den USA vor. Trump sei von der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung gewählt, das sei ein für Europa unveränderliches Faktum. Sein Aufruf: „Lasst uns auf das konzentrieren, was wir ändern können.“ Götz Albert konkretisierte: Die deutsche Wirtschaft werde von den Umbrüchen in den USA tangiert sein. Es helfe aber nicht zu warten, bis die letzten Feinheiten einer möglichen Zollbelastung ausgehandelt sein. Vielmehr müsse man sich jetzt fragen, welche Produkte und Dienstleistungen seinen unter dem Regime Trumps im Absatzmarkt USA gefragt. Und diese müssen man anbieten.
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Die Voraussetzungen für einen Erfolg seien gegeben. Zum Beispiel: „Bei der Digitalisierung ist der deutsche Maschinenbau ganz vorne mit dabei – mit der Kombination aus Maschinen, Software und digitalen Lösungen. Da mache ich mir keine Sorgen.“
Kleinere, flexible Unternehmen – unterschätzt und sträflich unterbewertet
Ganz zum Schluss brach Götz Albert noch eine Lanze für mittelständische Unternehmen in Deutschland. Sein Team von Small & Mid-Cap-Spezialisten kennt die Unternehmenslandschaft wie kaum ein zweites. Seine Überzeugung: Deutschland kann Innovation, wie Top-Rankings bei Patentanmeldungen aus Unternehmen und Universitäten belegen. Und wenn die Investitionsbedingungen wieder stimmen, wird diese Innovationskraft auch gelebt werden. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen hätten nämlich die Möglichkeit, zum Beispiel den Herausforderungen der demografischen Entwicklung mit größerer Flexibilität zu begegnen als Großkonzerne. So lasse sich dem Fachkräftemangel die Spitze nehmen, weil gerade für qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitszeitmodelle und beispielsweise Hilfen bei der Kinderbetreuung realisiert werden könnten, die ihrer individuellen Lebenssituation gerecht würden. Seine Überzeugung fasst er am Ende so zusammen: „Small & Mid Caps sind heute so niedrig bewertet, als seien sie in fünf Jahren pleite. Das ist fern jeder Realität.“