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leitwolfs view - Kolumne von Lupus alpha

Lupus alpha

26.04.2022

Die Notenbanken meinen es nicht ernst mit der Inflationsbekämpfung

Kürzlich nach der Sitzung des EZB-Zentralbankrats: Die Notenbank werde alles Nötige zur Erfüllung ihres Mandats tun, wird verlautbart. Jetzt zieht nach der Fed also auch die EZB stärker an der Zinsschraube, lesen wir in vielen Kommentaren. Nein, tut sie nicht. Zumindest nicht so, dass sie damit spürbar Einfluss auf die Inflation nimmt. Längst haben sich die Notenbanken ihre Modelle so zurechtgelegt, dass sie gut mit negativen Zinsen leben können.

Alexander Raviol, Partner, CIO Alternative Solutions

Eine Hüterin der Geldwertstabilität, die jetzt massiv gegen die Inflation vorgeht – dieses Bild der Fed wird in der aktuellen Berichterstattung häufiger gezeichnet. Stichhaltig ist das nicht. Würde die US-Notenbank es tatsächlich ernst meinen mit der Inflationsbekämpfung, hätte sie schon weit früher weit mehr unternommen. Denn Tatsache ist: An eine Zeit, als der Abstand zwischen dem US-Konsumenten-preisindex und dem Zentralbankzins wie derzeit mehr als acht Prozentpunkte betrug, wird sich kein Marktteilnehmer erinnern, denn das gab es so noch nicht. 

Der Grund dafür ist offensichtlich, die Fed steckt in einem tiefen Dilemma, die EZB in einem noch tieferen: Die Inflation erfordert Zinserhöhungen, doch die Gefahr einer Rezession ist selbst bei kleinen Zinserhöhungen enorm. 

Ebenso offensichtlich ist: Die Notenbanken haben sich selbst in dieses Dilemma manövriert, sie ernten, was sie gesät haben.

Das allerdings räumen sie nur ungern ein (eigentlich gar nicht), und viele Geldpolitik-Kommentare folgen der offiziellen Notenbank-Sichtweise in weiten Teilen unwidersprochen. The Bottom Line: Sie können nichts dafür, die Notenbanken, es sind die Umstände. Erst das Platzen der Dotcom-Blase. Dann die Weltfinanzkrise mit Lehman. Dann die Euro-Rettung. Dann der Corona-Schock. Und jetzt der Ukraine Krieg. Man konnte und kann einfach nicht anders. Die Hände sind einem gebunden. Pragmatismus ist vonnöten.
 

Sie müssen jetzt so handeln
 

Dem kann ich sogar ein Stück weit folgen. Was würde ich aktuell als Zentralbanker tun? Vermutlich würden mir massive Zinserhöhungen auch schwer fallen. Denn eine radikale Eindämmung der Inflation wäre folgenschwer. Sie würde eine Rezession auslösen, deren Ausmaß wir uns in unseren schlimmsten Träumen nicht ausmalen können. Das will niemand. Also wird versucht, das wacklige Kartenhaus der Weltwirtschaft so gut es geht zu stabilisieren. Die Rezession, die Paul Volcker als Fed-Präsident vor vierzig Jahren ausgelöst hat, als er die Inflation mit Leitzinsen von 20 Prozent bekämpfte, war im Vergleich harmlos. Und heute würde die Wirtschaft auch schon bei viel niedrigeren Zinsen in der Rezession landen.

Aber warum ging damals, was heute nicht mehr geht? Hier kommen wir an den Punkt, warum die Notenbanken ihr heutiges Dilemma selbst verschuldet haben: Über Jahrzehnte haben sie eine viel zu lockere Geldpolitik betrieben. Die Fed auch deshalb, weil sie neben dem Ziel der Preisstabilität die Arbeitslosigkeit im Blick behalten muss und damit implizit die Konjunktur. Mit der Politik des billigen Geldes stieg die Verschuldung dramatisch an. Zu Zeiten von Paul Volcker lag sie über alle Sektoren summiert (Staat, Unternehmen, Haushalte) bei etwa 100 Prozent des US-Sozialprodukts, heute erreicht sie rund 350 Prozent. Und immer mehr Unternehmen, die bei höheren Zinsen längst aus dem Wettbewerb geschieden wären, leben weiter, doch jede Zinsanhebung gefährdet die Fortsetzung ihres Zombie-Daseins. Ähnliches gilt für Hypotheken- und Konsumschulden und in Europa (ganz ausdrücklich, ohne hier das Zombie-Bild zu verwenden) für den ein oder anderen hochverschuldeten Staat, mit entsprechend schwerwiegenden Konsequenzen. 

Begleitet und kaschiert wurde diese Entwicklung mit einer stetigen Aufweichung des Inflationsziels bis hin zum jüngsten Coup der EZB von „knapp unter 2%“ hin zu „symmetrisch mittelfristig 2%“, flankiert von der Erläuterung, man werde „zeitweise moderat über dem Zielwert“ liegende Inflationswerte akzeptieren. Man muss also nicht mehr zwingend eingreifen. Oder, wie das ZDF kommentierte: „Freifahrtschein fürs Weiter so“. Ein Freifahrtschein indes, den man sich selbst ausgestellt hat. 

 

Traue keinem Modell, das du nicht selbst gebaut hast
 

Aus meiner Sicht besonders ärgerlich ist darüber hinaus der Versuch, dieses Handeln modelltheoretisch zu untermauern und so zu rechtfertigen. Die Zentralbanker in New York, Frankfurt und anderswo wollen uns glauben machen, dass selbst ein negativer Zins ein durchaus „normaler“ Teil des ökonomischen Spektrums und heute eben „Teil der jetzigen Welt“ sei. Das versuchen sie mit allerlei komplexen, aus meiner Sicht unpassenden, mathematischen Modellen zu begründen, unter Verwendung vieler Annahmen, Nebenbedingungen und passend gemachter ökonomischer Schätzungen. In meinen Augen ist das oft ökonometrisches Voodoo. 

Man erinnere sich in diesem Zusammenhang nur an die Aussagen der EZB-Direktorin Prof. Dr. Isabel Schnabel vom September 2021. In einem Blog-Beitrag auf der Website der EZB schreibt sie: „Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die aktuelle Geldpolitik zu permanent höherer Inflation führen wird“ und besonders interessant: „… können unsere Modelle die strukturellen Auswirkungen der Pandemie nur schlecht abbilden“.  

Man darf die Frage stellen, welchen Sinn Modelle haben, die fernab unserer Realität sind. Wenn auf dieser Basis Geldpolitik betrieben wird, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Zentralbanken in eine unlösbare Situation manövrieren und uns allen nachhaltig schädliche Inflation bescheren.

 

Doch genug der Vergangenheitsbewältigung:

Welches Szenario ist jetzt am wahrscheinlichsten?
 

Die Inflation wird im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten vermutlich deutlich erhöht bleiben. Hier wirken der eingeschlagene Weg der Deglobalisierung, gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise, die zunehmenden Inflationserwartungen, Zweitrundeneffekte und natürlich das weiterhin enorme Geldmengenwachstum. Trotzdem wird die Fed wohl ihre Politik der sehr kleinen Zinsschritte beibehalten. Sollte sich eine schwere Rezession auch nur andeuten, wird sie mit allen Mitteln dagegenhalten, zur Not mit einer Neuauflage der QE-Programme. Die Realzinsen bleiben also noch lange Zeit negativ, und das ist übrigens durchaus im Interesse der Fed, denn so sinkt die Verschuldung relativ zum Sozialprodukt. 

Für die EZB gilt ähnliches, allerdings ist sie von spürbaren Zinserhöhungen noch etwas weiter entfernt als die Fed. Bisher ist die Inflation in Europa noch leicht niedriger als in den USA, wenn auch bereits sehr deutlich erhöht. Zweitrundeneffekte über steigende Löhne wirken noch nicht so stark wie in den USA. Und die Heterogenität der Eurozone lässt noch weniger Spielraum für eine Straffung der Geldpolitik. Bedeutet: Die Realzinsen in der Eurozone und insbesondere in Deutschland dürften sich mindestens so negativ entwickeln wie in den USA.  

Machen wir uns nichts vor: Die Zentralbanken haben die Macht, die Zinsen zu setzen, wohin sie wollen. Der Markt kann dieser Macht nichts entgegensetzen. Wie weit es gehen kann, sieht man in Japan: Dort hat die Zentralbank die Zinskurve komplett unter Kontrolle und gibt derzeit sogar vor, dass die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen nicht über 0,25 Prozent steigen darf. Und weil sie unlimitiert Geld aus dem Nichts schaffen kann, ist dieser Plan auch tatsächlich glaubwürdig umsetzbar. 

 

Was sagt das alles dem Investor?
 

Bei negativem Realzins und hoher Inflation bleiben Sachwerte wie Aktien – trotz anspruchsvoller Bewertungen – die erste Wahl, und das wohl auch noch für längere Zeit. Gleichzeitig bleibt die Weltwirtschaft fragil, und aufflammende Ängste, das Kartenhaus könnte doch einmal zusammenbrechen, können die Märkte jederzeit treffen. Das wird immer wieder zu erhöhter Volatilität führen. Wer die Schwankungen an den Aktienmärkten aushält, kann bei breiter Diversifikation antizyklisch investieren und so Chancen nutzen. Wer sich starke Drawdowns nicht leisten kann oder will, sollte darüber nachdenken, Wertsicherungskonzepte in die eigene Strategie zu integrieren. Dem Aktienmarkt gänzlich fernzubleiben, ist keine vernünftige Alternative.

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